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Kein Smalltalk, keine Lügen Leben mit dem Asperger Syndrom

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ZDF 37 Grad, Dokumentation 30 min
19. Januar 2015, 22:15 Uhr

In ihrer Welt gibt es keine Lügen und keinen Small Talk. Gesichter sagen ihnen nichts, mit Witz, Spott oder Ironie tun sie sich schwer. Die Menschen sind ihnen oft fremd – zu belanglos ihre Gespräche, zu emotional und verwirrend der Umgang miteinander.

In der 37-Grad-Dokumentation begleitet die Autorin Daniela Agostini drei Menschen mit dem angeborenen Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus: Peter Schmidt, Marcello Mazzon und Denise Linke. Welche Herausforderungen begegnen ihnen in „unserer“ Welt, in der es nicht immer angebracht ist, die Wahrheit zu sagen? In der menschliche Kommunikation größtenteils auf der Gefühlsebene stattfindet – einer Ebene, die für Menschen mit dem Asperger-Syndrom intuitiv nicht zu erfahren ist? Sie nehmen die Welt und die Menschen um sich herum anders wahr: optisch, akustisch, und vor allem bei den Gefühlen, die immer und überall im Spiel sind.

Forscher gehen heute davon aus, dass ein Gendefekt dafür verantwortlich ist, dass das Gehirn vor allem im „Gefühlsbereich“ anders funktioniert. Dabei sind Schweregrad und Erscheinungsformen sehr verschieden. Manche sind hochbegabt, manche brauchen ein Leben lang Betreuung.

Peter Sch., 49, hat das geschafft, was viele „gesunde“ Menschen nicht hinbekommen: Er hat in Geophysik promoviert, eine Familie gegründet, arbeitet in der IT-Abteilung eines Pharmakonzerns. Das ist sein Lebens-Plan und den verfolgt er exakt: In Schmidts Leben gibt es immer Plan A, Plan B und notfalls auch Plan C. Mit seiner Frau Martina ist er seit 22 Jahren verheiratet. Die erste Liebeserklärung zeichnet er am Strand in den Sand: Ein mathematisches Koordinatensystem, das zeigt, dass „Liebe ein Zugewinn an Vertraulichkeit“ darstellt. Peter liebt seine Frau auf seine Art.

Auch Marcello M. sieht die Welt mit anderen Augen – und findet sich doch in ihr zurecht. Wenn er lächelt, strahlen seine Augen. Der 27-Jährige mag Menschen, zu seiner Mutter hat er eine enge Beziehung. Zahlen aber faszinieren ihn. Schon als kleines Kind kann er rechnen, in der 1. Klasse lernt er schnell flüssig lesen. Und er hat eine Vorliebe für Grammatik – sie ist klar und logisch. So logisch wie auch das Programmieren – nach dem Abitur studiert er einige Semester Informatik. Mit der Zeit entwickelte er besonderes Interesse für spirituelle Schriften und die vegane Ernährung. Jetzt macht Marcello eine Ausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme und betreut ehrenamtlich einen alten Mann im Hospiz.

Denise L. wirkt auf den ersten Blick gar nicht sonderbar. Im Gespräch schaut sie in die Augen, runzelt die Stirn, lächelt. Doch vieles an ihrem Verhalten hat sie sich hart antrainiert. Es fehlt die Empathie, das Hineinversetzen in das Gegenüber. Gefühle müssen mit Worten benannt werden. Denise hat zum Asperger-Syndrom auch ADHS, die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. Die junge Frau schreibt in einer Stunde einen Artikel, für den andere zwei Tage brauchen. Trotzdem lebt sie noch bei ihrer Mutter, die ihr bisher bürokratische Dinge abgenommen hat. Bald wagt sie den Schritt in die Selbstständigkeit: Sie zieht mit ihrem neuen Freund in eine eigene Wohnung. Ein Experiment. Wie auch ihre Zeitschrift „N#MMER“, ein Magazin für Autisten und AD(H)Sler. Da ist Autismus nicht mehr bloß Defizit, sondern auch Bereicherung, alternative Denkweise, unkonventioneller Blick auf die Welt. Wenn Autisten über Nicht-Autisten sprechen, dann sagen sie: „Die Neurotypischen“, und das klingt manchmal fast wie „Langweiler“.

In einer Gesellschaft, in der zunehmend Singles leben, die Kommunikation mit Handy und Computern den Alltag bestimmen und „autistisches“ Verhalten schon fast zum Lifestyle gehört, stellen wir die Frage: Was ist schon normal? Was unterscheidet „Aspis“ eigentlich vom neuro-typischen Menschen? Wie kommunizieren und interagieren sie mit Menschen, mit der Familie und ihren Partnern? Wie zeigt sich das im Alltag? Herausgekommen ist ein Film mit humorvollen Situationen, die uns zum Schmunzeln bringen – und mit Momenten, die uns nachdenklich über unser Verhalten machen. Ist es wirklich so sonderbar, wahrhaftig zu sein?